Was es ist und was nicht. Über die Beziehung zu Häusern und Geistern; vom Leben, Sterben und Essen.
Wir bekommen die letzten Tage allerlei Anfragen zum Mitwohnen – fast alle kamen über Facebook, obwohl wir da selbst nicht drin sind (eine Freundin hatte das Angebot für uns eingestellt und offenbar ist es auch schon über Weiterempfehlung dort gelandet).
Bei manchen Anfragen bin ich allerdings nicht sicher, ob die Leute verstanden haben, um was es geht. Etwa, wenn erstmal nach Fotos von der Wohnung gefragt wird, die da „zu vermieten“ ist.
Wer normale Mietverhältnisse gewohnt ist, muss sich hier ein wenig umstellen. Durch unsere Organisationsform als Verein sind wir gleichzeitig Mieter und Vermieter. Das heißt, wenn was nicht so funktioniert wie es soll, müssen wir uns an die eigene Nase fassen, selbst Lösungen finden, selbst entscheiden, was wir wie in Angriff nehmen und wie wir es finanzieren wollen. Manches, was man sich als Komfort wünscht, muss man dann eben auch mal selbst bezahlen, auch wenn es nachher zum Haus gehört. So haben Jürgen und ich uns vor zwei Jahren gegönnt, die schrebbelige, zugige Terrassentür, die der Haupteingang zu unserer Wohnung ist, durch eine solide, schöne, stilechte und denkmalgerechte Eichenholz-Eingangstür vom Tischler unseres Vertrauens zu ersetzen. Hätte man als Vermieteraufgabe deklarieren können, aber der Verein hatte eben gerade kein Geld über.
In einem alten Haus zu leben ist auch so ungefähr das Gegenteil dessen, was es heißt, in einem schlüsselfertigen Neubau zu sitzen. In letzterem ist man erstmal entbunden von Bauaufgaben, in ersterem Fall sind sie mehr oder weniger ständiger Begleiter. In diesem Haus zu leben, kommt mir eher vor wie eine Beziehung. Man muss einander erstmal kennenlernen, mit all seinen Ecken und Kanten, Marotten und Schwächen. Und je mehr man sich mit dem Haus beschäftigt und daran werkelt, desto inniger wird die Beziehung. Bewohner, die hier vor uns lebten, kolportierten, dass es hier einen Hausgeist geben soll, der so seine Spielchen mit den Bewohnern treibt. Mir ist das Gefühl, dass sogenannte „Dinge“ beseelt sind, nicht fremd und ich hatte auch schnell das Empfinden, dass das Haus in diesem Sinne lebt oder belebt ist von etwas, das wir nicht sehen, nur erfühlen können. Wir nennen es den „Puck“. Der mit uns manchmal auch seinen Schabernack treibt, mit Vorliebe lässt er Dinge verschwinden – die dann irgendwann wieder an unvermuteten Stellen – manchmal nach Jahren – wieder auftauchen.
Wer den Charme alter Häuser liebt, mit allem was dazugehört, wird sich sicher auch der Ausstrahlung dieses Hauses nicht enziehen können. Für mein Empfinden sind die Räume teils licht und weit (fast ungewöhnlich für ein altes Fachwerkhaus), teils höhlig-kuschelig (jeder der beiden künftigen Mitbewohner hätte von jedem etwas). Es gibt noch viele alte Stilelemente und wurmstichigen Dielenboden, aber Tropenholzfenster aus den Sechzigern und seltsame Versatzkanten in der Decke zeigen, dass die zahlreichen früheren Bewohner hier immer auch tätig waren, um das Haus nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Fotos könnten oberflächliche Eindrücke vermitteln, aber das Hineinspüren in diese „Beziehungskiste“ nicht ersetzen.
Wir, die wir nun seit fünf Jahren hier leben und auch schon viel hier gewerkelt haben, prägen den Geist des Hauses natürlich mit – und so ist die erste Frage, ob neue Mitbewohner und wir hier miteinander harmonieren. Einige der Anfragenden sind Vegetarier oder Veganer. Wir haben damit kein Problem, aber wir essen eben auch mal Fleisch. So ein Würstchen am Lagerfeuer gegrillt und womöglich vom Runterfallen mit Asche gewürzt ist einfach ein Genuss, der mich bis in meine prähistorischen Wurzeln kitzelt.
Und soll keiner denken, ich hätte mich nicht intensiv damit auseinandergesetzt, was es bedeutet, Tiere zu essen. Und Tiere zu töten. Sowohl metaphysisch, als auch praktisch. Nein, es ist nicht schön, ein Tier zu töten. Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, wenn mal wieder eines von unseren Hühnern oder auch ein Hahn dran ist. Es kostet mich immer Tage an innerer seelischer Vorbereitung. Jedes Huhn hat ja seinen Namen und einen völlig individuellen Charakter. Ich spreche täglich mit den Tieren und habe eine innige Verbindung zu ihnen.
Das erste Huhn töteten wir, weil es, nach Tagen der Zurückgezogenheit plötzlich nicht mehr laufen konnte. Babette war wohl doch schon etwas älter, als wir dachten, als wir sie beim Züchter gekauft hatten. Man hätte sie unterm Busch sitzen und vom Fuchs holen lassen können. Aber warum soll sie der Fuchs fressen und nicht wir, die wir doch eine viel engere Beziehung zu ihr haben? Die Vorstellung, dass der Körper der guten alte Babette sich in meinen verwandelt, fand ich jedenfalls schön. Außerdem liebe ich Hühnersuppe. Also taten wir es so sanft und schmerzlos wie möglich. (Dass das Huhn dann ohne Kopf noch flattert wie verrückt, muss man mit dem Gedanken durchstehen, dass nun alles gut und sein Seelchen frei und zuhause ist.) – Bei meinem Lieblingshuhn, der dicken Paula, waren es ähnlich zwingende Beweggründe, sie in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Noch Wochen später stiegen Blasen der Trauer in mir auf. Aber Paulas Suppe war ein Genuss ohnegleichen und noch heute habe ich sieben kleine Gläschen mit ihrem kostbaren goldgelben Fett im Regal stehen, die darauf warten, uns innerlich zu wärmen und zu heilen. Jedes Huhn rupfe ich in Dankbarkeit und nehme mir Stunden Zeit, auch noch das kleinste Fetzchen zu verwerten. Das ist meine Art, es zu würdigen und die physische Form dieses Lebens mit meinem zu verweben. Und dabei daran zu denken, dass mein Körper irgendwann genauso anderen als Nahrung dienen wird. Die ganze Welt wandert in dieser Weise durch uns hindurch und wir dann ebenso durch die ganze Welt. Ist das nicht faszinierend?
Dass der Tod zum Leben gehört, ist meine Überzeugung. Das Sterben, die Art des Übergangs, ist manchmal ganz schön krass, gerade auch, wenn man der Natur ihren Lauf lässt. Wie gehen wir damit um, wenn wir Verantwortung für ein Lebewesen haben? Ist Sterben auf einem „Gnadenhof“ für ein Tier schöner als bei uns durch einen kurzen Akt der Gewalt?
Das ist natürlich eine Frage, die jeder ganz persönlich für sich beantworten muss. Und es ist ein Feld, zu dem ich mir immer wieder Gedanken mache und auch gerne darüber spreche. Wer diese Art des Umgangs damit nicht nur erträglich, sondern vielleicht sogar bereichernd findet, der könnte bei uns richtig sein.
Und dazu angemerkt: Ich könnte auch schon deshalb nie Veganer sein, weil die Eier unserer Hühner so mörderlecker sind… da kommen keine gekauften Bioeier mit.