Gibt es Patentrezepte, nach denen Gemeinschaft gelingen kann? Ich glaube nicht. Oder andere als ich ursprünglich mal dachte.
Wir sind jetzt seit fünf Jahren hier zusammen und es stehen Veränderungen an. Bruno und Lisa verlassen uns. Als wir gemeinsam gestartet sind, war das Projekt auf Langfristigkeit angelegt – gleichzeitig war uns bewusst, dass es jederzeit anders kommen kann. Auch deshalb wählten wir die Organisationsform des Vereins, was auch bei Veränderungen in der Belegschaft am einfachsten funktioniert. Keine Änderungen im Grundbuch sind nötig, der Verein als überpersoneller Träger bleibt davon unberührt. Außer dass Vereinsaufgaben ggf. anderen übertragen werden müssen, versteht sich. Dass die beiden weggehen, liegt ursächlich daran, dass sie ihre Beziehung beendeten. Das wäre noch kein Grund gewesen, dass beide ausziehen, tatsächlich wäre jeder auch gerne hier geblieben, nachdem wir uns hier so gut zusammengerauft hatten in den letzten Jahren. Grob gesagt, sind es vor allem die Arbeitsbedingungen, die es für beide ungünstig machen, weiter hier zu leben.
Als wir gemeinsam dieses Haus kauften, kannten wir uns erst wenige Monate. Zumindest teilweise. Jürgen und ich waren schon lange ein Paar, das gemeinsam Höhen und Tiefen durchschritten hatte, so dass wir guten Mutes waren, uns auf ein so verbindliches Wagnis einzulassen. Bruno und Lisa waren erst seit kurzem zusammen. Bruno und Loka hingegen waren bereits seit langem befreundet, hatten auch schon zusammen gewohnt.
Im Laufe der Zeit gewannen wir jedoch alle die Ansicht, dass die Dauer des Kennens keine große Rolle spielt und dass es richtig war, das Projekt zu diesem Zeitpunkt gemeinsam zu starten. Die Zeit war reif und die Gelegenheit fiel uns in den Schoß. Es „sollte so sein“, könnte man sagen.
Was uns tatsächlich in den ersten zwei Jahren unerwartet durcheinanderwirbelte, war die Dynamik der Kleingruppen-Beziehungen innerhalb unserer Gemeinschaft. Eifersüchteleien, Angst vor Übergriffigkeiten, Liebesgeplänkel außerhalb der Hauptbeziehung, Erschöpfung durch ein Übermaß an persönlichen Baustellen, familiäre Probleme, unterschiedliche Haltungen in finanziellen Dingen bildeten ein blubberndes Potpourri, das uns als Gemeinschaftsprojekt ganz schön aufkochte und teilweise an unsere Grenzen brachte.
Aber wir blieben im Gespräch – oder, wenn es einfach nicht weiterging, kamen wir andermal wieder zum Gespräch zusammen. Dann ging es weiter, oder man gab einander und der Sache mehr Zeit.
Wahrscheinlich sind Zeit, guter Wille und die Bereitschaft, immer wieder neu hinzuschauen die wichtigsten Pfeiler gewesen, die unser Miteinander im Laufe der Zeit so stabilisierten, dass sich irgendwann jeder hier wohl, entspannt, mit seinen Bedürfnissen und Eigenheiten gesehen und respektiert fühlte. Und wir wirklich auch dicke Bretter miteinander bohren konnten.
Wie ein Brennglas fokussierte etwa der Bereich Finanzen ein Feld, auf dem wir uns nur ganz allmählich einander annäherten. Dass wir jeder ganz unterschiedlich viel an eigenem Kapital ins Projekt steckten, je nach persönlichem Vermögen, war nicht das Problem. Festgelegt war, dass im Laufe der Zeit auch alle Privatkredite durch die Mieten getilgt würden, so dass am Ende jeder auch finanziell gleich viel beigetragen haben würde. Dieses materielle Gleichheitsprinzip war manchen mehr, anderen weniger wichtig. Kritisch wurde es, als manche mehr realisieren wollten, als die Finanzdecke des Vereins es zuließ und das nötige Geld einfach als Schenkung ins Projekt stecken wollten. Das weckte bei anderen Argwohn und Ängste, auf diese Weise könnte es eine Art Machtgefälle in der Gemeinschaft geben. Dass die, die mehr reingesteckt hatten, irgendwann mehr Anspruch geltend machen würden, mehr Einfluss auf die Entwicklung des Projekts nehmen zu können als die übrigen. Wieder und wieder redeten wir uns über diese Dinge die Köpfe heiß, aber gelangten zu keinem Ergebnis. Was uns blieb, war, den jeweils anderen mit seinen Bedürfnissen und Ängsten wahrzunehmen und zuzugestehen, dass immer unterschwellig Kräfte am Wirken sind, die einem nicht bewusst sind. Der Versuch, sich diese psychischen Dynamiken so gut es geht bewusst zu machen und im wohlwollenden Miteinander der nötigen Entwicklung Zeit und Raum zu geben, war manchmal das einzige, was wir tun konnten.
Und ich würde sagen, das war viel und es war wichtig. Auf diese Weise freigelassen zu sein und dennoch immer wieder gesehen zu werden, ließ in jedem von uns das Vertrauen in die anderen wachsen. Und nach und nach wurde immer leichter möglich, persönliche Wünsche Einzelner zu realisieren, die die Mittel dazu dem Verein schenkten. Was entstand, war mehr Lebensqualität für alle und die Ängste vor einseitigen Machtallüren schwanden.
Meine persönliche Lernaufgabe war und ist, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, wenn ich schicke Ideen habe, die ich am liebsten gleich umsetzen würde. Andere nicht mit vor den eigenen Karren zu spannen, deren Interessen eher anders gelagert sind. Grundsätzlich Erwartungen an den anderen herunterzufahren, die ihn durch den Filter der eigenen Wünsche sehen und ihn so sehen zu lernen, wie er tatsächlich ist.Wenn man das nicht schafft, kann man in einer Gemeinschaft vermutlich nicht glücklich werden – und die anderen auch nicht.
Wenn man sich dann aus freien Stücken zusammenfindet, um etwas miteinander zu schaffen, ist das ein Fest. Ich habe immer wieder große Dankbarkeit empfunden über Dinge, die wir miteinander bewerkstelligten, die ich vor dieser Gemeinschaftszeit wohl als Anspruch formuliert hätte. Loslassen! Alle Ansprüche wegschmeißen. Und dann neu gucken, was wollen, was können wir tatsächlich miteinander?
Kann man auf diese Weise wirklich große Dinge bewegen? Auf etwas aufbauen, Strukturen schaffen, bei denen man auch am nächsten Tag ganz selbstverständlich von einem erreichten Status quo ausgehen kann? Vielleicht nicht, wenn man jeden Tag aufs Neue loslassen und sich orientieren muss, was nun dran ist. Aber je länger man zusammen ist, desto besser lernt man, in welchen Rhythmen das nötig und wichtig ist. Und man lernt, mehr zu würdigen, was tatsächlich miteinander möglich ist. Ja, wir sollten die Dinge, die wir miteinander schaffen, wirklich öfters feiern. Denn es ist etwas Besonderes, in völliger Freiheit und Selbstbestimmung etwas miteinander aufzubauen. Und andererseits auch gut sein lassen zu können, was gerade nicht geht.
Und nun werden die Karten wieder neu gemischt. Ein Miteinander geht zuende, das sich gut eingespielt hatte. Wir schauen dankbar zurück auf das Erreichte und freuen uns auf die neuen Horizonte, die sich uns mit künftigen Mitbewohnern eröffnen mögen.
Eins haben wir jedenfalls festgestellt: Es mag zwar verlockend sein, sich gewisse Kompetenzen im Boot zu wünschen, aber entscheidend ist etwas anderes. Entscheidend ist, dass der gemeinsame Grundton stimmt. Vielleicht das, was man Wellenlänge nennt. Das reicht tiefer als die Übereinstimmung in bestimmten weltanschaulichen Dingen. Vielleicht ist es die Bereitschaft, das vorbehaltlose Hinschauen wichtiger zu nehmen, als das Verhaftet-Sein an bestimmten Konzepten, Haltungen und Denkweisen. Wenn das gegeben ist und man sich in der Ausstrahlung des anderen wohl fühlt, ist grundsätzlich alles möglich. Dann kann man sich gemeinsam aufschwingen zu kreativen Höchstleistungen und möglich machen, was man miteinander will. Aus ganz freien Stücken.
Dass die sich finden, die auf diese Weise zueinander passen, dazu gehört sicher auch ein bisschen Glück. Wir sind zuversichtlich, dass dieser schöne Platz die Menschen anzieht, die zu ihm und zu uns passen.